#114 Schleudergang

Meine neue Kladde ist furchtbar vornehm. Cremeweißes, blindes Papier in dunkelblauem Einband und Gummiband zum Fixieren. Ein Einlegeblatt gibt es für Linien oder rückseitig mir Karos ausgestattet sowie einem doppelbändigen Lesezeichen, blaugrau gesteift, Inhaltsverzeichnis und Seitennummerierung. Ich habe es geschenkt bekommen. Meinen heutigen Eintrag, nur kurz skizziert, ist mit der Überschrift Schleudergang versehen.

Es ergibt sich, dass ich mit dem Auto über einen Bergkamm ins Tal hinunterfahre. Der Hügel, der sich gegenüber sanft zur anderen Seite hinwegstreckt, ist übersät von kleinen Stadtteilen und viel Grün zwischendurch. Weithin sichtbare aber auch kleine Gebäude wechseln sich ab. Vereinzelt lugt ein Kirchturm aus ihren Reihen hervor und wenn ich ganz genau hinschaue, kann ich das kleine Dachgeschossfenster ausmachen, hinter dem ich mal gewohnt habe. Die Obstbäume blühen und leuchten in hellem weiß zu mir herüber. Am Himmel jagen Wolken bleischwer und ich kann von meiner hohen Warte aus die Regenfäden sehen, wie sie sich leicht schräg dem Erdboden nähern.

Das kann ja heiter werden. Welch passende oder unpassende Redewendung für das Unwetter, das ich de facto gleich erreichen werde. Und so ist es auch. Der Regen prasselt sintflutartig mit Schneeflocken und Hagelkörnern versehen auf mich nieder. Der Wind hat merklich aufgefrischt. Er heult in den Schluchten der Häuserreihen und mein Schiebenwischer gibt alles. Es ist wirklich ungemütlich draußen. Ausnahmsweise bin ich für den Umstand dankbar, mich abends auf Parkplatzsuche begeben zu müssen. Ich kreise langsam um den Block und halte Ausschau nach einer geeigneten Parkbucht. Fündig geworden laufe ich unter den letzten schweren Tropfen heim. Ein kleines Mädchen springt in Gummistiefeln vergnügt durch die Pfützen aus Eiskügelchen. Sie ist die einzige, die mir lächelnd begegnet und ich lächle zurück. Aprilwetter wie im Schleudergang – gut, dass es so ist, wie es immer war.

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