Sonntag, 5:00 Uhr. Schläfrig stehe ich auf und ziehe mir die vorbereiteten Klamotten an. Zu dieser Tageszeit darf ich nichts dem Zufall überlassen und bin knapp eine Stunde später startklar. Heute geht es zu meiner ersten Rad-Touristik-Ausfahrt, kurz RTF. Schließlich muss ich trainieren – da hilft alles nichts.
Der Himmel öffnet sich in allen erdenklichen Blautönen während das Morgenrot langsam verblasst. Die Startunterlagen sind schnell geholt und los geht’s auf meine neunzig Kilometer Runde der Hügeltour. Wie sollte es in dieser Gegend auch anders heißen? Meine Laune ist bestens, so wie das Wetter und ich freuen mich auf ein paar schöne Stunden. Wir trennen uns, jeder fährt sein Tempo und seine Distanz und ich lenke achtsam meditierend meine Sinne auf meinen Körper, meine Atmung und meine Umgebung. Es läuft gut und nach der Hälfte rolle ich beim Verpflegungsstand ein. Hier bleibt kein Wunsch unerfüllt. Es gibt sogar Spiegeleier mit Speck. Ich entscheide mich für ein weniger rustikales zweites Frühstück und zwei Tassen heißen Kaffee, bevor ich meinen Weg fortsetze.
Ich komme an denkwürdigen Orten vorbei. Neben einem FKK-Sportgelände, einem wütend gestikulierenden Autofahrer (das ist obligatorisch) sowie Eseln und Lamas, begegne ich sämtlichen künstlerisch in Szene gesetzten Vorgartenfiguren aus Holz oder Stein. Hinter den fast blinden Fensterscheiben eines windschiefen Bauernhauses hängen geklöppelte Gardinen mit Mustern der Bauernromantik. In den Dörfern, die ich durchfahre, wird kräftig für das anstehende Maibaumfest geworben und einmal biegt ein Wohnmobil älteren Baujahrs in meine Straße ein. Über dessen gesamte Heckansicht prangt der Spruch: Gehe vor dem Sterben reisen – sonst reisen deine Erben. Auweia, in dieser Familie scheint der Haussegen schief zu hängen. Mit all diesen Eindrücken von wunderlich bis wunderschön und tausend Höhenmetern in den Beinen, biege ich vergnügt im Ziel ein und wir treffen uns wieder. Jeder mit seiner eigenen Heldengeschichte im Gepäck.