Vor einiger Zeit hat es sich ergeben, dass ich das Hochzeitsfoto meiner Großeltern abfotografiert habe. Es ist schon lange Vergangenheit, da hing das Bild, kunstvoll eingerahmt, in ihrem Schlafzimmer. Ob als Mahnung oder Erinnerung – ich weiß es nicht. Jedenfalls stehen Sie offensichtlich in ihrem besten Staat vor der Kamera und ich erinnere mich, wie mich meine Großmutter auf ihren Schleier aufmerksam macht, der aus Mangel an eigener Üppigkeit, kurzerhand dazu gemogelt wurde. Soll noch mal jemand sagen, dass es früher weniger Eitelkeiten gab. Gephotoshoped wurde also auch vor fast hundert Jahren.
Sich für die Ewigkeit im besten Lichte zu konservieren, dieser Gedanke ist unzweifelhaft ebenso alt wie die Menschheit selbst. Heutzutage hat der Drang nach Bewunderung und Anerkennung vielleicht erneut einen Hochkulturstatus erreicht. Ich bin mir nicht sicher. Bei dem ich nicht untätig bin, mitzumachen, muss ich selbstkritisch anmerken. Allerdings darauf hoffend, dass meine Stilblüten weniger extravagant sind. Jedenfalls ist mir im Zusammenhang mit der Fotografie ein Gedicht in den Sinn gekommen, welches ich von ihr gelernt habe. Sie hat mir erzählt, dass ihr Herr Lehrer, der nach ihren Angaben ein besonders waches Auge auf sie geworfen hatte, vor dem geneigten Publikum rezitieren durfte. Leider kenne ich den Urheber nicht, so dass ich es hier anonym aus meiner Erinnerung aufsage:
Liebe Sonne scheine wieder
Scheuch die düst‘ren Wolken nieder
Trockne Hof und Garten schnell
Mach‘ es wieder warm und hell
Und das will ich dir noch sagen
Wenn du nicht scheinst
Darf ich nicht tragen
Und das tut mir furchtbar leid
Mein geblümtes Sommerkleid
Nett, oder? Verregnete Sommertage scheinen zeitlos und uneingeschränkt immer sowohl ein Potential für Unmut zu besitzen, genauso wie aus ihnen ein Quell für Dichtung und Poesie entspringt. Wie sich doch alles immer wieder wiederholt. Da brauche ich mir nichts vormachen.