#156 angekommen

Ich bin noch ein kleines Kind und so ungefähr zwischen Kindergarten-Alter-Ende und Grundschulkind-Beginn. Ich sitze in einem zitronengelben Renault 4 mit Revolverschalung und Schiebefenstern auf der Rückbank. Wir befinden uns auf der Rückfahrt von meinen Großeltern und fahren den steilen Berg herunter, am Friedhof mit den hohen Bäumen vorbei. Von dieser Stelle aus habe ich bei Dunkelheit einen wunderbaren bunten Blick auf die Stadt, die uns, von dort betrachtet, zu Füßen liegt. Das Lichtermeer fasziniert mich und ich kann mich kaum sattsehen daran. Viel weiter reicht meine Aufmerksamkeit dann oft schon nicht mehr, denn das sanfte Geschaukel wiegt mich zuverlässig in den Schlaf. Jede dieser Fahrten endet vor der elterlichen Garage mit der Aufzählung meines Vaters: Zug, Ende, Tier. Wir parken vor einer der fünf Garagen, die parallel zur Fahrbahn stehend in unserer Reihenhaussiedlung das prägende Stilelement sind. Links von ihnen führt ein gepflasterter Fußweg zu den Haustüren. Unseres trägt die Nummer zweiunddreißig. Der Eingang ist von einer lilablühenden Clematis umrandet. Sie ist von der Sorte, die jetzt auch wieder in meinem Garten wächst. Tief schlummernd höre ich also die Worte: Zug, Ende, Tier. Sie fungieren gewissermaßen als Weckruf für mich. Wach zu werden, damit ich aussteigen kann und die paar Schritte zu Haustür an der Hand meine Mutter oder auf dem Arm meines Vaters zurücklegen kann. In meiner Schläfrigkeit verstehe ich immer wieder den Wortdreiklang, dessen Sinn mir nicht klar ist. Was will mir mein Vater sagen? Ich grüble darüber nach und verstehe es nicht. Bin allerdings viel zu müde um zu fragen oder nehme es einfach hin. Jahre später, wirklich Jahre später, wird mir klar, dass ich es einfach nur anders betonen muss, um den Sinn zu erfassen: Zug endet hier. Wir sind am Ziel angekommen. Wir sind zuhause.

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