#171 großer Brockhaus

In unserer Nachbarschaft ist es gute Tradition, Dingen eine letzte Chance zu geben, indem sie mit dem Hinweis „zu verschenken“ an den Straßenrand gestellt werden. Ausgedient leisten sie vielleicht noch an anderer Stelle gute Dienste. Eine schöne Idee, wie ich finde. Ich werfe immer einen Blick drauf und dieses Mal bleibt mein Augenmerk bei einer dieser Offerten hängen. „Neues universelles Lexikon“ steht auf dem Rücken der ausgedienten Bücher. Das geballte Wissen der Menschheit zusammengefasst auf ein paar Seiten.

Flashback. Was vor gut dreißig, vierzig Jahren und davor unerlässlich als Informationsquelle diente, ist heute unvorstellbar. Was für ein begrenzter Horizont oder was für eine begrenzte Welt, bei der das Wissen auf ein paar Seiten passt. Es hat gereicht. Hatten Menschen früher gar den „großen Brockhaus“ im Schrank, dessen Bände für viel Geld bei Türdrückern erworben werden konnte, galt der Haushalt als besonders intellektuell. Verrück, was? Je teurer das Nachschlagewerk, desto belesener, klüger und kultivierter ging es dort zu. Was vor allem an der Güte der Information lag, die im Brockhaus verschriftlich war.

Wesentlich verändert hat sich das nicht. Immer noch haben nicht alle Menschen den gleichen Zugang zu Informationen und damit auch zu Bildung. Nicht jede/r verfügt über einen Zugang zum geballten Kollektivwissen im Google-Format. Die Hürde, um Wissen abzugreifen, ist weiterhin vorhanden. Schließlich verfügen nicht alle uneingeschränkt über ein Instrument zur Datenabfrage. Oder können damit umgehen. Es ist wie in der Mode – es wiederholt sich alles. Im Moment ist die gute alte Vokuhila aus den 80ern – in abgewandelter Form versteht sich – wieder en vogue. Alter Mief in neuen Kleidern gewissermaßen. Vielleicht ist genau dieses alles ein Indiz für den insgesamt begrenzten menschlichen Horizont – unabhängig vom Lexikon. Es scheint zu genügen die Fassade zu weißeln anstatt den Inhalt zu überdenken. Bin gespannt, ob es so weitergeht.

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