In unserer Straße, jenseits der nächsten Kreuzung, stehen große Kastanienbäume. Die Autos, die unter ihnen parken, werden geradezu bombardiert von ihren herabfallenden Früchten. Links und rechts und auf dem Gehweg vor der Schule und auf der Straße – überall liegen sie herum.
Wie in jedem Jahr, halte ich auch diesmal wieder nach ihnen Ausschau. Das ist so eine Angewohnheit von mir. Eine Glückskastanie, wie ich sie insgeheim nenne. Ein Ereignis für mich. Ich hebe, am Montag war es glaube ich, eine glänzend braune, frisch geschlüpfte auf und stecke sie in die Manteltasche. Kühl und feucht liegt sie in meiner Hand. Ihre glatte Oberfläche fühlt sich wunderbar an. Wie ein Handschmeichler drehe ich sie mit den Fingern meiner linken Hand über meinen Handteller.
Im Mantel bleibt sie dann gewöhnlich, bis ich an einem Punkt x den Inhalt meiner Tasche ausmiste und sie ebenfalls. Gestern allerdings habe ich sie heraus genommen und auf meinen Schreibtisch gelegt. Als heute im Laufe des Tages mein Blick auf sie fällt, stelle ich fest, dass sie schon erheblich von ihrer prallen Dralligkeit verloren hat.
War sie am Montag noch straff, ist sie heute bereits deutlich zusammen geschrumpelt, ihre Oberfläche wellig. Mir ist die Veränderung bewusst, allerdings hatte ich bisher die Vorstellung, dass dieser Prozess wesentlich länger dauert. Liegt es vielleicht an der Umgebung in meiner Wohnung? Ist es zu warm? Oder einfach nur daran, dass ich einer falschen Vorstellung aufgesessen bin? Ich weiß es nicht.
Natürlich, und ihr werdet mir sicherlich zustimmen, ist dieses äußere Merkmal der Veränderung ziemlich offensichtlich. Es ist eine Krux im Angesicht dieses simplen – ich nenne es der Einfachheit halber – Gegenstands, an die eigene Vergänglichkeit erinnert zu werden. Verbunden mit zunehmender Dunkelheit und trübem (Regen-)Wetter helfen dann nur noch fröhliche Gedanken. Ich beschließe, sie zur Erinnerung in Sichtweite liegen zu lassen.