Wenn ich durch die Straßen meines Viertels spaziere, sehe ich mich manchmal an der Hand meines Großvaters laufen. Das ist schon lange her, als ich als kleines Mädchen hüpfend an seiner Hand mit ihm durch sein Viertel gelaufen bin.
Er trägt ein weißes Hemd (eine andere Farbe gibt es nicht), dunkle Hose, Mantel, Schal, Hut und Handschuhe. So recht weiß er, glaube ich, nichts mit mir anzufangen.
Vorbei am Blumengeschäft führt uns der Weg die Straße entlang zum Drogeriemarkt. Dort riecht die reinweiße Luft nach Waschpulver und die Regale türmen sich mit ihren Päckchen und Döschen und Schächtelchen rechts und links neben mir auf. Mein Großvater kauft Speick-Seife. Das ist seine Marke und dann geht’s weiter zum Tabakladen mit Toto Lotto. Er tippt – immer dieselben Zahlen – wie ich vermute und dann, wenn ich mich anständig gezeigt hatte, geht es weiter zu den Flamingos.
Ich sehe mich vor dem Haus stehen. Es ist von der Straße nach hinten versetzt. Ein schmaler Zufahrtsweg führt rechter Hand zu dem modernen Bungalow mit flachem Dach und hellem Klinker. Ich stehe am niedrigen Zaun, habe meine kleinen Händchen auf das messingfarbige Metall gelegt und schaue fasziniert, auf meinen Zehenspitzen balancierend, darüber hinweg. Auf der Rasenfläche, die sich linker Hand vom Zaun bis zum Haus erstreckt, steht eine Handvoll Flamingos. Echte, lebendige Flamingos. Auf einem Bein und mit zartrosa Gefieder stehen sie dort, picken ab und zu oder stolzieren umher. Mitten in der Stadt. Aus heutiger Sicht ein Ding der Unmöglichkeit und damals für mich exotisch und wunderschön zu betrachten.
In Südfrankereich fotografiere ich sie aus dem Auto heraus. Das Bild ist unscharf, dennoch behalte ich es, der Erinnerung wegen.