#293 olle Kamellen

Es ist schon eine Weile her. Ach, was sage ich, es ist schon lange her, dass diese Dinger in Gebrauch waren. Kennt ihr das noch oder wisst ihr, was das sein soll? Ich bin völlig überrascht, als ich am Aufzug des Hotels dieses Relikt aus alten Zeiten hängen sehe. Ich muss googeln und lese, dass die meisten Verbote 2008 eingeführt wurden. Im ersten Moment habe ich gedacht, dass das Verbot schon länger gilt. Das Rauchverbot meine ich natürlich. Ihr habt es längst erraten – es ist ein Aschenbecher.

Ich frage mich, wann das Hotel letztmalig im Flurbereich renoviert wurde und kann mir im selben Augenblick die Antwort geben. Interessiert schaue ich genauer hin. Der Ascher ist unbenutzt. So viel steht fest. Vielleicht, so meine Vermutung, hat das Hotel den Aschenbecher aus nostalgischen Gründen oder aus Gründen der Authentizität hängen gelassen. Hatte womöglich jemand ähnliche Beweggründe wie ich, als ich die Jugendstillampen in unserem Treppenhaus vor der Vernichtung gerettet habe? Kann doch sein, oder?

Diese Fragen beschäftigen mich noch auf meinen Weg zum Café. „Tante Käthchen“ heißt es einladend und ich finde mich in einer Mischung aus Wohnzimmer und Bibliothek inklusive zwölfbändigem Brockhaus (#171 großer Brockhaus) wieder.

Auf dem Regal sind zwei übergroße Tiger-Plüschtiere, die es auf Jahrmärkten beim Losverkauf gibt, drapiert. Sie wachen über das Geschehen und gehören scheinbar zum Konzept. Die Küche, die durch die Bücherwand mit Holzbogenöffnung vom Gastraum getrennt ist, entspricht ebenfalls dem antiquierten Gesamteindruck. Der morbide Charme ist hipp konserviert. Einzig das Kassensystem entstammt der neuesten Technik. Touchscreen mit Kartenlesegerät. Zwischen den unzähligen Blumentöpfen auf der Fensterbank liegt Kinderspielzeug rum. Fast alle Tische sind besetzt. Ich nehme Platz, bestelle mir Cappuccino und Mohnstreuselkuchen, schlage mein Buch auf, beginne zu lesen. Der Kuchen schmeckt lecker und vom Cappuccino bestelle ich mir gleich noch einen zweiten.

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