#311 Sonnengruß

Ich lasse mich von der Erde tragen und schaue gen Decke. Dabei erhasche ich im Augenwinkel den geschwungenen Schriftzug Anno 1795, der auf dem obersten Rand des alten Bauernschranks geschrieben steht. Er ist mit Blumen verziert. Ich liege davor auf meiner Yogamatte und atme. Der Raum ist gemütlich beleuchtet. Ein schwacher Duft nach Räucherstäbchen liegt noch in der Luft, als die Unterrichtsstunde beginnt.

Erstaunlich, zu welchen Verrenkungen mein Körper in der Lage ist. Eine Erkenntnis, die ich nicht missen möchte. Zugegeben, kostet es mich die ein oder andere Überwindung und ich darf mir gar nicht vorstellen, wie komisch ich gerade aussehe. Den Hintern in die Luft gereckt, schaue ich zwischen meinen Beinen durch. Liege verschlungen auf dem Bauch und vollführe die Krokodilsdrehung. Aber diese Bedenken habe ich schon vor langer Zeit über Bord geworfen. Das Gefühl stimmt, wenn ich sämtliche Gliedmaßen in alle Himmelsrichtungen verdrehe. Ob Sonnengruß oder Fisch, ob Kamel, Baum oder Held. Egal. Alles tut gut.

Außerdem verschafft mir die Praxis einen unwiderstehlichen Vorteil in meiner Haushaltsgemeinschaft. Das ist nicht zu verachten. Sportlich gesehen bin ich schließlich diejenige, die ansonsten den Kürzeren zieht. Laufen, schwimmen, Rad fahren, da habe ich keine Chance. Bei Athletikübungen allerdings, ja da bin ich klar besser.

Es war zur Corona-Zeit. Wir liegen nebeneinander auf unseren Matten, der PC steht auf einem Stuhl vor uns und ein Vereinskamerad gibt die Übungen vor. Wir sind voller Enthusiasmus und strengen uns, wie immer, richtig an. Nach kurzer Zeit staune ich nicht schlecht, als ich plötzlich unerklärliche Geräusche höre. Ich balanciere gerade leichtfüßig und gekonnt im Seitstütz und recke Arm und Bein in die Luft, als es neben mir laut rumpelt und stöhnt. Mit angespannter Stimme, zischend nach Luft schnappend liegt mein Trainingspartner da. Der Punkt geht an mich (#179 Dropkick), stelle ich zufrieden fest.

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