#381 Klavierunterricht

Es ist Mittwoch. Ein ganz normaler Tag in meinem jugendlichen Leben. Ich komme mittags aus der Schule. Der Nachmittag liegt vor mir. Hausaufgaben gibt es, die ich erledigen muss. Und dann ist da noch der Klavierunterricht, der ansteht. Der ist heute zuerst dran.

Bevor ich los muss, versuche ich mich zu erinnern, wie die F-Moll Tonleiter geht, die ich als Fingerübung auf habe. Ich setze mich also an unser Klavier, lege meine Finger auf die Tasten und probiere, einen geschmeidigen Lauf hin zu bekommen. Das klappt nur halb. Der Rest, Etüden oder was auch immer ich lernen sollte, sitzen ebenfalls alles andere als flüssig. Natürlich habe ich mal wieder viel zu wenig geübt. Das schlechte Gewissen plagt mich und die Angst.

Ja, es ist wohl wirklich Angst, die mir im Nacken sitzt. Und das ungute Gefühl, zu wenig Ehrgeiz in meine musikalische Ausbildung investiert zu haben. Es könnte alles so schön sein. Schließlich genieße ich das Privileg, gefördert zu werden. Der Unterricht ist damals schon teuer und ich bin bereits einige Jahre dabei. Leider nützt es nichts. Ich bin völlig unbegabt.

Kurz nach dem Mittagessen komme ich am Haus meiner Klavierlehrerin an. Sie wohnt in einem modernen Bungalow. Zuerst laufe ich durch das Steuerbüro ihres Mannes, bevor ich ihre Privaträume und das Wohnzimmer betrete. Dort steht ein weißer Flügel mit Blick auf den Garten mit Pool. Alles sehr gediegen und vornehm hier. Oft muss ich sie aufwecken, denn sie gönnt sich ein kleines Mittagsschläfchen auf dem Sofa.

Sie rappelt sich hoch. Ihre Haare sind ein wenig wuschelig vom Schlaf. Ich versuche Zeit zu schinden. Quäle mich durch einen Smalltalk, soweit mir das als junges Mädchen möglich ist. Dann kann ich es nicht weiter hinaus zögern. Meine Fehlbarkeit wird sichtbar und ich bete, dass die Stunde schnell vorbei geht.

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