–Fortsetzung–
Dann heißt es plötzlich, es sei tot. ‚Wie tot?‘, fragt sie, schreit sie, ‚wie tot? warum?‘, fragt sie. Es sei verstorben, wird ihr gesagt. Woran, versteht sie nicht. Niemand sagt es ihr, erklärt ihr die Umstände. Dennoch, sie will es wissen. Bleibt hartnäckig. Lebensunwertes Leben heißt es. Minderwertig. Zu kränklich für diese Welt. Sie solle sich damit abfinden.
Weitere Antworten erhält sie nicht. Geradezu geschäftsmäßig wird ihr mitgeteilt, dass mit dem Begräbnis gewartet werden müsse, der Boden sei zu hart gefroren. Sie würden sich bei ihr zur gegebenen Zeit melden.
Die Zeit verstreicht. Sie hört nichts aus dem Krankenhaus. In ihr wächst die Sehnsucht, ihr totes Kind noch einmal, ein einziges Mal zu sehen. Sie möchte sich verabschieden. Sie trägt ihren Wunsch, ihre Bitte vor. Wieder wird sie vertröstet. Sie würden sich bei ihr melden.
Heute wird Sie durchgelassen. Eine Schwester nimmt sie mit. Das Licht ist fahl und es riecht penetrant. Blankes Entsetzen kriecht ihr den Nacken hinauf. Am Ende des Flurs öffnet die Schwester eine Tür. Auf der Pritsche liegt ein weißes Tuch. Darunter, kaum sichtbar, ein winziger Körper. Die Schwester schlägt mit einer Handbewegung das Tuch zurück. Sie sieht das Kind, ihr Baby, ihr Mädchen, ihre Helga.
Immer hat sie mir von den schwarzen Augen ihres Kindes erzählt. „Schwarz waren sie, schwarz“, hat sie gesagt. „Es war nicht mein Kind. Es war ganz anders.“ Das Entsetzen, das sie beim Erzählen packt, packt auch mich. Das Grauen in ihr, so weiß ich es jetzt, hat sie niemals verlassen.
Milchschorf hatte die Kleine. Vom Stillen. Mütter kennen das. Das ist völlig normal. Sie kannte es nicht. Hatte keine Mutter mehr, die sie fragen konnte. Niemand hat sich erbarmt. Niemand hatte Mitgefühl. Es gab kein Glück, weder für die Mutter noch für ihr Kind. Die Gesellschaft hat versagt.