#39 mein Herz

Die eisernen Räder quietschen metallisch und sprühen Funken als der Zug zum Stehen kommt. Ich steige aus, durchquere die Ankunftshalle der einstigen Weltstadt und trete vor die Tür. Draußen empfängt mich ein schneidiger Februarwind. Die Luft ist klar und frisch so früh am Morgen. Nur vereinzelt sehe ich Menschen um mich herum. Langsam steige ich dieselben Treppen wie Bölls Clown hinab und bewege mich in Richtung Innenstadt. Meine Schritte sind langsam und die Last des Koffers zieht an meinem Arm. Verschwommen und überrascht nehme ich wahr, wie ich mich zu verändern scheine.

War das Gewicht des Koffers gerade noch gegenwärtig, spüre ich es jetzt nicht mehr. Meine Beine werden zunehmend weicher und verschwinden ganz unter mir. Meine Arme werden so weich und labbrig wie bei diesen aus luftgeblasenen Figuren, die vor Festzelten stehen oder auf Jahrmärkten, an Ständen oder sonstigen Veranstaltungen zu finden sind. Ehe ich diese Veränderung noch vollständig registriere, schrumpft mein Kopf und ich sehe meine Umwelt nur noch aus der Froschperspektive. Was geschieht mit mir? Ich kann es kaum beschreiben. Das Gefühl ist seltsam und will nicht ganz, dass ich es begreife. Doch, es ist geschehen. Ich bin zu einer achtlos fallengelassenen Imbissserviette mutiert. Leicht zerknüllt, weiß und flach liege ich auf dem Trottoir. Ich hole keuchend Luft, versuche zu verstehen, was mit mir geschehen ist.

Panik macht sich breit und mich durchfährt die Angst. Die Angst davor was passiert, wenn ein Mensch auf mich tritt. Kaum bin ich der Gefahr gewahr, schieben sich die gesprochenen Worte eines Fremden aus den Tiefen des Lochs links neben mir in mein Bewusstsein: haste mal ne Mark? und just in diesem Moment, ohne dass ich weiter nachdenken kann, ergreift mich ein Windstoß, greift mir unter die Arme und trägt mich gerade aus fort.
-Fortsetzung folgt-

https://youtube.com/shorts/oU5BVnsyjVU

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