#438 Gossip

Es gibt sie noch, die Nachrichten, die die Welt bewegen. Das stelle ich fest, als ich beim Friseur darauf warte, bedient zu werden. Obwohl, beides ist nicht richtig. Warum?, werdet ihr euch fragen. Das ist ganz einfach. Gossip bewegt die Welt nicht und ich warte nicht darauf „bedient“ zu werden. Das hört sich total bescheuert an, wenn ich bedenke, dass ich meinen Friseur seit bestimmt zwanzig Jahren kenne. Ja, ihr habt richtig gelesen. Zwanzig Jahre. Mittlerweile reden wir über alles mögliche nur nicht mehr darüber, wie meine Frisur sein soll. Was wo wie kurz oder lang bleibt, welche Farbe oder ob überhaupt eine und so weiter. Er schneidet und ich bin zufrieden. Immer.

Heute muss ich ein wenig warten. Ich vertreibe mir die Zeit mit der Lektüre der Zeitschriften, die ich an meinem Platz vorfinde. Geiler Scheiß. Echt. Es funktioniert noch wie damals, als bei den Besuchen bei meiner Oma mein erster Griff nach den aktuellen Frauenzeitschriften ging. Vor dem gemeinsamen Mittagessen oder der Runde Canasta habe ich einen Blick in die Heftchen geworfen. Um mich über den neuesten Quatsch aus den Königshäusern zu „informieren“, versteht sich. Ich sehe mich in ihrem Wohnzimmer sitzen. In einem der beiden Sessel. Häkeldeckchen auf den Armlehnen. Stets hat sie mir die Zeit gegeben, die Bilder anzuschauen. Außer den Bildunterschriften habe ich nie auch nur irgendeinen Text gelesen. Das ist jetzt nicht anders. Und, was soll ich sagen? Ich sehe dieselben Sachen, die selben Fotos.

Stelle ich mir das ganze als bewegte Bilder vor und würde ich anstelle des Papiers ein Smartphone in der Hand halten, wäre das genauso wie Häkeldeckchenlektüre. Die Inhalte unterscheiden sich nicht wesentlich von denen auf Insta und Co. Elektronisch ist halt nur alles in einem: Gossip, Interieur, Natur, Garten, Heimwerken, Pferdezeitschriften und Bravo. Eine wirkliche Weiterentwicklung – Fehlanzeige.

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