#44 mein Herz

-Fortsetzung-

Fünf Tage und fünf Nächte habe ich seit meiner Ankunft überstanden. Mehr oder weniger. Ich bin lädiert, fleckig und ausgefranst. Mein Weiß hat alle möglichen Farben angenommen. Die Flatterei hat ihren Zauber verloren. Ich fühle mich erbärmlich, heruntergekommen und mitgenommen von sämtlichen Sohlen, die mich hier hin und dort hin schleppen.

Gerade hänge ich wieder unter einer fest und bewege mich stolpernd und schlangenlinienförmig fort. Puh, so langsam habe ich die Schnauze gestrichen voll von all dem Trara. „Hey“ lallt der Cowboy neben mir und tippt dem Matrosen auf die Schulter, „hey, du hast da was“ und zeigt mit seinem Finger auf mich. „Uih“ antwortet er und versucht mich mittels ungelenker Bewegungen mit seinem linken Fuß unter seiner rechten Sohle weg zu bekommen. Im nächsten Augenblick finde ich mich auf feinem Kies unter einer großen Kastanie liegend. Ihre kahlen Äste heben sich dunkel gegen den beginnenden Lichtstreif über der ’schäl Sick‘ ab. Cowboy, Matrose und Glamourboy, meine drei Begleiter, stehen mittlerweile einträchtig, Schulter an Schulter, die Beine leicht gespreizt, die Köpfe andächtige wie zum Gebet gesenkt und urinieren in trauter Einigkeit gegen die altehrwürdige Mauer des Alten Zolls. Was für ein Klischee.

Ich schaue nach oben. Die Sterne verblassen schon. Der Wind ergreift wieder Besitz von mir und hebt mich behutsam, fast liebevoll, empor. Er weht mich mit einem Hauch über die Brüstung, über die Straße hinüber, lässt mich eine kleine Weile unten auf der Uferpromenade verschnaufen. Der Himmel wird heller. Erneut ergriffen und wieder sanft, ganz sanft schwebe ich auf das Wasser hinaus, senke mich langsam nieder, bleibe kurz auf der Spannung der Oberfläche liegen, bis das Wasser langsam mit mir diffundiert. Ich werde rein gewaschen und mein Herz seufzt, als mich ein letztes Mal der erste Sonnenstrahl des neuen Tages zum Abschied küsst.

Ende

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