Ihr Gesicht ist oval. Fast völlig gleichmäßig. Die Haut wirkt papieren, durchscheinend, transparent. Ihre dunklen, langen Haare beginnen in einem Bogen an der Stirn, und kräuseln sich ein kleines bisschen am Ansatz. Oben auf Ihrem Scheitel trägt sie diese zu einem Dutt frisiert, der fest gezurrt keinen Mucks macht, wenn sie sich bewegt. Unsere Blicke begegnen sich kurz, als ich ihr gegenüber in der Straßenbahn Platz nehme. Sie schaut mich aus großen Augen an. Wir lächeln uns zu. Jede von uns sortiert Beine und Handtasche. So kommen wir uns nicht ins Gehege.
Mir kommt sie auffällig unscheinbar vor. Ich betrachte sie, wie mich Menschen betrachten und anschauen. Nehme ich an. Sich dabei ihre Gedanken zu mir machen. Vielleicht hat sie das ebenfalls getan. Vielleicht aber auch nicht.
Es ist später Nachmittag. Feierabend also. Die Bahn ruckelt und zuckelt gemütlich vor sich hin und lässt Menschen um mich herum, die nicht gerade auf ihr Handy schauen oder ein Buch zur Hand haben, die Augen schließen und ein wenig schlummern. Vereinzelt gibt es zwei, die sich unterhalten. Ich bin damit beschäftig zu schauen. Aus dem Fenster, auf den Boden, zu den Ein- und Aussteigenden, zum Himmel, zu den Fahrgästen um mich herum. Kinder in Kinderwägen, Alte, Junge. Die bunte Vielfalt des Lebens, von der ich ein Teil bin. Einen Platz in ihr habe.
Im leichten Schaukelschlummer ruckelt mein Gegenüber, wie wir alle, im Takt des Zugs vor sich hin. Auf ihren geschlossenen Augenlidern trägt sie schwarzen Lidstrich und ein dezentes Nude Make-up. Mit gefalteten Fingern hält sie, wie ich, ihre Tasche auf dem Schoß fest. Die Nägel sind kurz, fast nicht vorhanden und abgekaut.
Ich erreiche meine Haltestelle, stehe vorsichtig auf, gehe zur Tür. Vom blinkenden Klang des Türsignals begleitet, trete ich auf den Bahnsteig hinaus, verschwinde im Gewühl.