Ich sitze bei Frühstückstee und Morgenmeditation auf meinem Sofa und schaue nach draußen. Geradewegs auf die Einflugschneise des Amselnests im Efeu gegenüber. Der Flugverkehr hat seit einigen Tagen ordentlich zugenommen. Ein paar leise, dünne Vogelstimmchen aus gut zwei Metern Höhe machen sich bemerkbar und treiben die Eltern zur Eile an. Abwechselnd wird für Wurmnachschub gesorgt. Bin gespannt, was heute los ist. Ich warte und schaue eine ganze Weile, doch es rührt sich nichts. Kein Vogel kommt geflogen. Alles ist gespenstisch still. Ich hoffe, dass nichts passiert ist. Schließlich fliegen auch Krähen und Elstern hier herum.
Nichts rührt sich. Ich trete ans Fenster. Der Garten ist wie ausgestorben. Kein Spatz, keine Meise und erst recht keine Amsel mit einem Wurm im Schnabel. Ich ahne Böses. Mir fehlt die Zeit, um sofort nachzuschauen. Außerdem möchte ich nicht stören.
Nachdem ich ganze zwei Tage kein Piepsen, keinen Flugverkehr im Garten erkennen konnte, halte ich es nicht mehr aus. Ich schnappe mir Hocker und Handy und fotografiere ins Nest. Dachte ich es mir. Es ist leer. Alles umsonst. Ich versuche mich damit zu trösten, dass sie bestimmt flügge geworden sind und sich irgendwo unter einem meiner Büsche versteckt halten. Doch das ist Quatsch. Dafür sind sie nach der 1-2-3-Regel noch viel zu klein. Frustriert und traurig steige ich vom Hocker, klappe ihn zusammen und stelle ihn an seinen Platz zurück. Ich weiß, dass es oft vorkommt, dass Nester von Krähenvögeln ausgeraubt werden. Oder von Katzen, Mardern oder Ratten. Da lauern eine Vielzahl von Gefahren für Eltern und Jungtiere.
Das ist überall dasselbe. Bei Tieren genauso wie bei uns Menschen. Es bedarf viel Anstrengung, Fürsorge, Glück, bis sie groß sind, die lieben Kleinen. Der Weg dorthin ist kein Zuckerschlecken. Um so schöner ist es, sie auf einem guten Weg zu wissen.