Ich schaue aus dem Fenster in den trübgrauen Himmel hinauf. Gerade hat es aufgehört zu regnen. Die Wolken hängen tief und fliegen, vom Wind getrieben, in unterschiedlichen Grautönen vorbei. In meinem Blickfeld bewegt sich etwas. Oben rechts im äußeren Sprossenbogen des Fensters krabbelt oder fliegt ein Insekt hin und her. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten erkenne ich, dass es eine kleine Spinne ist, die dort ihr Netz webt. Ich schaue gebannt zu. Mal gerade, mal im Halbkreis läuft sie auf ihrem unsichtbaren Wegen. Scheinbar weiß sie exakt, was zu tun ist.
Ob es zu schief, zu löchrig, zu locker oder zu unvollkommen ist, kann ich nicht beurteilen. Was mir allerdings auffällt, ist genau das. Ich habe nämlich den Eindruck, alles um mich herum bekommt den Zusatz „zu“. Wir sind ständig mit „zu viel“ oder „zu wenig“ beschäftigt, als mit einem normalen Maß. Ist uns das Mittelmaß abhanden gekommen? Brauchen wir das nicht mehr?
Wir sind zu groß, zu klein, zu jung, zu alt, zu reich, zu schön, zu arm, zu neu, zu neugierig, zu verwöhnt, zu unselbstständig, zu freizügig, zu abhängig, zu teuer, zu unflexibel. Ich finde, es ist durchaus nicht verkehrt, ein wenig mittelmäßig zu sein. Mittelgroß, mittelalt, mittelschön. Ich glaube, ich bin damit einigermaßen zufrieden. Der Hype um das Besondere oder der Versuch, etwas Besonderes zu sein, kann schnell schief gehen und treibt bisweilen komische Blüten. Es mag dabei einen gewissen Unterhaltungswert geben. Die Gefahr des Abdriftens in eine Peinlichkeit ist groß. Selbst wenn das bis zu einem gewissen Grad schon fast salonfähig geworden ist.
Die Betonung des Außergewöhnlichen scheint mir ein Phänomen, das vom Wetter abgeschaut, auf sämtliche Lebensbereiche übergegriffen hat. Wetter ist klar. Das ist viel zu häufig extrem. Aber alles andere auch? Wäre etwas weniger „zu“ nicht beruhigend?