#56 Froschkönig

„…und am Sonntag Sonne“, sagt das Sams und schaut Herrn Taschenbier fröhlich an. „So, wie es sich gehört“. Heute scheint die Februarsonne auf mich herab und ich genieße sie auf unserem Süd-Balkon – nicht zu verwechseln mit unserem Süd-West-Balkon, den es auch gibt – sitzend. Es gibt nichts zu tun. Einfach nur dasitzen. Meine Haut verspeist die wärmenden Strahlen nach den Wintertagen als Appetithappen auf mehr. Meiner Socken habe ich mich entledigt und lasse die Zehen lustig wackeln. Dabei fühle ich die geriffelten Bohlen unter den Sohlen und erinnere mich der Glückseligkeit, die ich empfinde, wenn ich draußen sein kann.

Ein leichter olfaktorischer Reiz erzählt mir vom süßen Duft der Säulenblutpflaume, die bereits jetzt und viel zu früh schon in voller Blüte steht. Wenn ich genau hinhöre, kann ich das leichte Brummen vereinzelter Insekten, die um sie schwirren, vernehmen. Ein Weberknecht durchstreift die Wiese. Ab und zu höre ich das scheinbar unbeholfene Geflatter einer Taube und das leise Piepsen einer Schar kleiner Spatzen. Im Zinkzuberteich habe ich meinen Froschkönig wieder auf seinen Wachtposten gesetzt und der Sauerampfer treibt schon kräftig aus.

In meine Idylle mischt sich der Duft nach Sonntagsbraten. Aus einem schräg gestellten Küchenfenster ertönt das Geräusch einer Dunstabzugshaube und es wird leise gesprochen. Ansonsten ist es immer noch sehr still in unserem Hinterhof, ich scheine nach wir vor die einzige Sonnenanbeterin zu sein. Mit geschlossenen Augen lenke ich meine Aufmerksamkeit mal hier hin und mal dort hin. Dabei fällt mir ein, dass ich seitdem ich nicht mehr den elterlichen Gepflogenheiten unterliege und für mich selber zuständig bin, an keinem einzigen Tag sonntags mittags gekocht habe. Dieses Relikt aus einer vergangenen Epoche hat sich in meinem Lebensrhythmus nicht etabliert, doch damals, damals war es immer schön.

 

Teilen:

Weitere Beiträge

#643 aufs Maul geschaut

Cafés und andere gesellige Orte, wie Kneipen, Restaurants, öffentliche Verkehrsmittel, sind geeignet, fernab sozialer Medien, „dem Volk aufs Maul zu

Weiterlesen