#568 alte Schätze

„Ach, übrigens, ich habe die Vase mit den Hortensien in den Flur gestellt, um sie zu trocknen. Dafür müssen sie dunkel stehen“, sage ich zur anderen Hälfte meines Haushalts und erhalte postwendend die Rückfrage: „welche Hortensien?“. Nun, meiner Ansicht nach erübrigt sich die Frage, denn die vier großen Blütenköpfe sind beim Eintreten in die Wohnung kaum zu übersehen. Aber das ist nur meine unbedeutende Meinung. Dekoration ist keine meiner Stärken und deshalb habe ich mir hier wirklich Mühe gegeben, sie schön zu drapieren. Völlig umsonst.

Was nicht umsonst ist, ist die Geschichte, die sich hinter dem kleinen Schränkchen verbirgt, auf dem sie stehen. Das ist das Möbelstück, das ich bereits mein Leben lang kenne. Von keinem anderen, wenn ich es mir recht überlege, kann ich das sagen. Es ist jenes alte Schätzchen, welches stets als „Schränkchen“ tituliert, früher, im Keller meiner Großeltern, meinem Opa als Werkbank diente. Aus diesem Grund erkennt ihr, wenn ihr genau hin schaut, dass ein Stück der Zierleiste ersetzt wurde. An dieser Stelle war der Schraubstock angebracht, an dem ich meine ersten handwerklichen Fingerübungen gemacht habe.

Vor langer Zeit hat Schränkchen seinen Weg in mein Kinderzimmer gefunden. Von dort aus ist es mir treu überall hin gefolgt, hat sämtlichen Umzügen tapfer Stand gehalten. In meinen Teenagerjahren habe ich an einer Stelle, das verrate ich nur euch, den Namen meines Schwarms reingeritzt. Leider ist aus uns nichts geworden. Ich konnte die Flamme der Leidenschaft nicht in ihm für mich entzünden.

Leicht lädiert, wie ich es inzwischen ebenfalls bin, steht es nun beim mir im Flur, ist Schlüsselhüter und Krimskramsbewahrer. Ein Fuß und diverse Verzierungen sind lose, die Intarsien blättern ab, es gibt einen kleinen Brandfleck. Eine Restauration hat sich vor Jahren schon nicht mehr gelohnt. Aber wegschmeißen? Nein! Wie könnte ich es je hergeben?

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