Es ergibt sich heute, dass mir Zeit geschenkt wird. Ich es nicht eilig habe, kein Termin auf mich wartet. Außer heute morgen, als ich zeitig beim Friseur in der Großstadt nebenan sein musste. Ich bin, wie die letzten Male auch, mit dem Rad zu ihm unterwegs. An die schlechten Wegeverhältnisse für Radfahrer bin ich inzwischen fast gewöhnt. Dieses Hoppelpoppel über sämtliche Rillen, Furchen, Asphalt- und andere Löcher, Kopfsteinpflaster, hohen Bürgersteigkanten, Baustellenumleitungen, nervösen Autofahrern, Engstellen, abrupt endenden Radwegen. Ihr kennt das. Wenn das kein Großstadtfeeling ist, was dann?
Allerdings muss ich meine Strecke, wenigstens bis zur Hälfte, nicht alleine bewältigen. Heute morgen sind wir zu zweit unterwegs. Die andere Hälfte meines Haushalts und ich starten gemeinsam in den Arbeitstag. Das gab es bisher noch nie. Also schon, aber nicht per Rad. Ein bisschen ist es wie früher, als ich mit meiner Freundin zusammen mit dem Rad zur Schule gefahren bin.
Auf dem Rückweg habe ich, wie gesagt, Zeit. Und ich habe überhaupt keine Lust mich zu beeilen.
Heute kann alles warten, was dringend erledigt werden muss. Die Aufgaben können mich mal gern haben. Nirgendwo kann ich meinen Gedanken so gut freien Lauf lassen, wie auf dem Rad und das möchte ich genießen. In meinem Tempo, gemütlich auf dem romantischen Weg zwischen Fluss und Bundesstraße entlang. Es ist wenig los. Der Wind weht mir von vorne ins Gesicht, kräuselt das Wasser. Dabei bricht sich der Sonnenschein in seiner Oberfläche und lässt es tausendfach glitzern, wirft ein Schattenspiel durch die Baumkronen auf meinen Weg.
Im Vorbeifahren fällt mir ein Rad auf. Kaputt. Abgestellt. Unnütz. Es verschmilzt beinahe mit dem Graffiti an der Wand, an der es jetzt lehnt. Die Farben sind identisch. Zufällig? Oder absichtlich? Ein Kunstwerk? Ich steige ab, mache Fotos und überlege mir die Geschichte, die es erzählen könnte.