#59 Ensemble

Weniges ist mir so unangenehm, als peinliche Belauscherin eines offensichtlich nicht für meine Ohren bestimmten Gesprächs zu sein. Ich sitze im liebevoll eingerichteten Frühstücksraum eines kleinen, familiengeführten Hotels. Nach einer freundlichen Begrüßung und Einweisung durch die Frühstücksverantwortliche mache ich es mir an einem Platz am Fenster gemütlich. Im Fernseher flackert ein stimmungsvolles Kaminfeuer. Musik sorgt für einen angenehmen Background und die anderen Hotelgäste grüßen freundlich – alles ist entspannt und ich freuen mich auf einen schönen Urlaubstag.

Inzwischen habe ich mich am Buffet mit knackigem Brötchen, herzhaften und süßen Brötchenbelag, Müsli mit selbst gequetschten Haferflocken, Joghurt, frischem Obstsalat, Orangensaft und sogar einem Gläschen Sekt für die Lebensgeister am Morgen, versorgt. Rührei und Kaffee duften schon am Platz. Alles wunderbar.

„Entschuldige, dass ich mich da vorhin im Ton vergriffen hab“, höre ich eine Stimme in breitem bayrischen Dialekt offensichtlich aus der Küche kommend. Dort wird laut gesprochen. Die Küchen- und Kochgeräusche erfordern Lautstärke und so hallt es von dort über das Buffet hinweg und erreichen mich. „Du musst das verstehen, ich brauche Urlaub. Meine Familie macht schon Druck“, spricht dieselbe Stimme weiter und bekommt von einer anderen zur Antwort: „das kann ich verstehen, aber alleine schaffe ich es nicht“. Der Tenor hält noch eine Weile an.

Hm, menschlich verständlich doch als Gast, als unverhoffter Zaungast, frage ich mich, ob ich das wirklich hören möchte. Mein Gewissen regt sich und das Rührei schmeckt nicht mehr ganz so lecker. Soll ich in die Küche gehen und einfach sagen, dass wir nebenan alles mithören können? Macht das die Situation zwischen den beiden noch schwieriger? Rettet es die nächsten Gäste vor Peinlichkeiten? Ich trinke mein Sektchen aus, überlege mir, dass ich nicht für alles verantwortlich sein kann und erfreue mich beim Rückweg ins Hotelzimmer am Ensemble: Staubsauger mit Zimmerpflanzen. Ich schmunzle bei dem Gedanken, dass in diesem ‚Suchbild‘ auch klar ist, was hier nicht passt.

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