#77 steter Tropfen

‚Steter Tropfen höhlt den Stein‘, besagt eine Weisheit, die, entstanden aus Erfahrung, der Geduld viel Raum zur Entfaltung gibt. Grundsätzlich bedarf es wohl am ehesten eines steten Tropfens, wenn es darum geht, eine Sache wirklich zu durchdringen. Er fällt langsam, einerseits. Und zwar so langsam, wie sich in einer Tropfsteinhöhle Stalagmit und Stalaktit aufeinander zu bewegen. Andererseits, so kann es auch sein, ist der stete Tropfen das, was solange fällt, bis der Schmutz weggewaschen und der Kern, der Sinn erreicht ist. Manchmal, nein sogar sehr häufig, also bis jetzt fast immer, versteckt er sich hinter der Fassade des Alltags. Dort ist es ganz klein.

Bei mir jedenfalls, ist es so. Dort verrichtet er in Bescheidenheit und Stille seine Arbeit wie der Flügelschlag eines winzigen Insekts, so dass ich ihn kaum registrieren kann. Dennoch ist er da. Regelmäßig, unermüdlich und gleichbleibend gräbt er sich mit Konstanz und Beharrlichkeit irgendwo zwischen Kopf und Herz in mich hinein. In den letzten Jahren ist er sichtbar geworden und es scheint, als ob ein exponentielles Wachstum stattfindet, nachdem er nun eine kritische Masse erreicht hat. Die kritische Masse manipuliert mein Bewusstsein indem sie sich stetig mehr und mehr nach vorne drängt.

Aus dem kaum wahrnehmbaren winzigen Flügelschlag des Insekts ist der Flügelschlag eines Pelikans entstanden und wird sich, wenn es so weitergeht, noch in den eines Condors verwandeln. Das jedenfalls ist meine Vermutung. Unaufhaltsam und gnadenlos wird er sich das nehmen, was ihm zusteht. Und ich? Ich finde es gut. Als Passagier nehme ich auf seinem Rücken Platz und lasse mich, im Urvertrauen auf seine Kräfte, tragen. Etwas anderes bleibt mir sowieso nicht übrig und ich will es, sowieso.

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