#92 Heckenbücherei

Die Wohltat in Form angenehmen Reisens mit dem Hollandrad ist für Außenstehende nicht ersichtlich. Oder besser ausgedrückt, erschließt sich für Außenstehende nicht. Dennoch, für alle Eingeweihten und Liebhaber des Hollandrads ist es klar wie Kloßbrühe. Auf kaum einem anderen Gefährt lässt sich die Umgebung cruisend besser erkunden, als aufrecht sitzend auf einem Hollandrad.

Der gerade Lenke mit obligatorischer Glockenklingel, Rahmenschloss und ummantelter Kette als Spritzschutz, lässt jeden Radler gemütlich und mit gutem Überblick seine Gegend erkunden. So genießerisch radle also auch ich heute im drei-Gänge-Tempo durch die Straßen und Sträßchen meiner alten Heimat. Das Terrain ist flach allerdings alles andere als eben. Die Wege sind gesäumt von Eichen und Buchen und die schmalen Radwege winden sich gekonnt geschwungen zwischen den großen Bäumen umher. Bisweilen sind die Wege mit den typisch blaurotgrauen, gebrannten Klinkern gepflastert deren Oberfläche holprig sich aufgewühlt von den darunterliegenden Wurzeln auftürmen. Beim drüber rollen klappert alles am Rad. Diesen Sound gibt es nur hier oben, wenn Radtasche und Korb nebst Inhalt durchgeschüttelt werden oder ganz einfach die Kette gegen den Rahmen schlägt.

Links und rechts neben den Straßen befinden sich in den Outskirts heutzutage immer noch Entwässerungsgräben gefüllt mit dunklem, torfstichigem Wasser. Jedes Haus ist dann über einen kleinen Steg zu erreichen, in ihren äußerst gepflegten Vorgärten die Magnolien blühen. Mein Rundkurs –Einheimische nennen dies auch „um den Pudding“ fahren – führt mich gut zwanzig Kilometer durch die Gegend. Ein kurzer, kaum nennenswerter Schauer gesellt sich genauso dazu wie manche Entdeckung, auf die mich meine Radbegleitung aufmerksam macht. In einer kleinen, engen Nebenstraße mit wunderschönen alten Backsteinhäuschen gibt es nach kundigen Angeben schon lange die „Heckenbücherei“. Die Idee ist nicht neu doch die Umsetzung typisch für Detailverliebte. Mit bester Literatur bestückt ist sie unter den Einwohnern ein Geheimtipp und ich finde diese Art des liebevollen Lektüreaustausches einfach zauberhaft.

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