Kein anderes sportliches Großereignis hat mich so sehr geprägt wie die TdF – die Tour de France. Ich kenne sie alle, die Fahrer der letzten vierzig Jahre. Ihre Kämpfe, ihre Stürze, ihre sensationellen Siege sowie die abgrundtiefen schwarzen Zeiten dieses wunderbaren Sports.
An einem Sommertag in den 1980er Jahre liegt mein Vater im Trainingsanzug für die letzten paar Kilometer pünktlich auf dem heimischen Sofa. Die Tour-Zeitschrift griffbereit zur Hand. Genau in diesen drei Wochen gönnt er es sich, früher Feierabend zu machen, damit er Schlussanstieg, Massensprint oder Fluchtgruppe noch live miterleben kann. An diesem Sommertag scheint die Sonne ins Wohnzimmer. Die Rollläden sind zum Schutz gegen die Hitze und für bessere Sichtverhältnisse halb heruntergelassen. Zwischen ihren Ritzen dringen vereinzelt Lichtstrahlen ins Innere in deren Gegenlicht Staubflocken und Pollen Ringelrein tanzen. Ich setzte mich zu meinem Vater auf die untere Kante des Sofas und lasse mir fachkundig die aktuelle Entwicklung erklären. Die Leidenschaft, die er dabei an den Tag legt, ist innerfamiliär legendär.
An einem anderen Sommertag in den 1990er Jahren. Inzwischen wohne ich in einem kleinen Haus in einer kleinen westfälischen Stadt und habe den Fernseher angeschaltet. Er untermalt in diesen Tagen das tägliche Einerlei der anfallenden Hausarbeit. Die Kommentatorenstimme wird lauter und schneller, die Anfeuerungen der Zuschauer dringen aus den Lautsprechern. Mein Kind schläft friedlich, ich gönne mir eine kleine Lernpause und schaue nun genau hin.
An einem Sommertag in den 2010er Jahren. Ich fahre hoch nach Alpe d’Huez. Einundzwanzig Kurven. Ich bin noch nie zuvor so lange so steil bergauf gefahren. Im zweiten Anlaufe schaffe ich Flachlandtiroler die Strecke. Ich bin stolz und glücklich und denke an meinen Vater. Zwei Tage später juble ich den Profis zu. Es ist ein Fest. Mit Wein und Fahnen und vielen wunderbar begeisterten Menschen um mich herum. Was für ein Erlebnis.