#183 sechzig

Heute ist ein Tag, an dem springt mich die Geschichte des Tages schon am frühen Morgen an. Oder besser ausgedrückt, liegt sie mir zu Füßen. Unverhofft stolpere ich über eine im Rinnstein liegende Sechzig. Anstatt stolz mit Helium gefüllt, hat es hier nur zu schnöder Luft gereicht. Ich schaue auf den traurig daherkommenden Luftballon nieder. Einsam liegt er neben herabgefallendem Laub in der Gosse der vom Regen feuchten Straße. Was für ein Symbol – besser hätte ich mir das kaum ausdenken können. Sogleich beginnt sich mein Gedankenkarussell zu drehen, den Turbo zündend. „Auf geht’s – eine neue Runde – auf geht’s zum Fahrspaß“ – ungefähr so halt. 

Meine Fantasie zeigt abwechselnd eine wenig erfolgreiche Geburtstagsparty mit einem Jubilar oder Jubilarin, der oder die sich seines oder ihres Alters symbolisch lieber schnell entledigt. Sechzig – die Zäsur an der nun das Seniorenticket der Bahn oder der Senioren Teller im Restaurant bestellt werden kann. Ist das der Grund dafür, die Sechzig auf den Straßenflohmarkt zu verbannen? Oder habe ich es hier mit einem Menschen zu tun, der nachhaltig agiert und seine „noch gute“ (brauchbare) – aber nunmehr nicht mehr benötigte Geburtstagssechzig an den nächsten in der Reihe des Alterns übergeben möchte?

„Zum Mitnehmen“ – inklusive angedeutetem Simile steht auf dem gelben Post it. Wie auf die Stirn geklebt. Dem Luftballon oder dem Geburtstagskind? überlege ich folglich automatisch. Die nächsten Gedanken, die sich durch mein Hirn winden, sind die nach dem Aufheber oder der Aufheberin – ich mache nur ein Foto und lasse ihn liegen. Und ob ihr es glaubt oder nicht, ich habe dabei ein mulmiges Gefühl ob der Trostlosigkeit, die sich mir dabei offenbart. Wie wird es mir gehen, wenn dieser runde Geburtstag ansteht? Mit dieser Frage beschäftige ich mich, wenn es soweit ist. Das dauert noch und ich schaue auf das Foto, ob es brauchbar geworden ist.

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