#241 Monsieur Claude und seine Töchter

Der letzte Col für diese Tour. Der letzte Col, der Peyresourde, steht heute auf dem Programm. Gleich hinter dem Ortsausgangsschild von Luchon geht es aufwärts. Dreizehneinhalb Kilometer liegen bis zum Gipfel vor mir. Was mich aufmuntert, ist die Aussicht auf ein leichtes Vorrankommen danach bis zum heutigen Etappenziel.

Unten am Fuß des Bergs überholt uns ein Rennradler. Auf französisch fragt er, ob wir über den Col fahren. Wir antworten „oui“ aus einem Mund und er hebt im vorrüberfahren seinen Arm und wünscht uns „bonne chance“.

Nach einem kurzen Stück muss ich abreißen lassen, mir gehen die Gänge aus und mein Tritt wird schwer. An einer kleinen Quelle am Wegesrand halte ich an und halte den Kopf drunter. Kühlung ist immer gut und außerdem bietet sie sogleich ein triftiges Alibi fürs Anhalten. Kurz verschnaufen, durchatmen, weiter geht’s.

Nach gut der Hälfte überholt mich ein Rentnertrupp Mountainbiker aus der Schweiz. Sie ziehen lässig mit ihren kleinen Gängen und ohne Gepäck an mir vorbei. Einer hinkt etwas hinterher aber auch der überholt mich. Als ich nach der nächsten Kurve um die Ecke biege, sehe ich sie kurz vor mir am Straßenrand stehend. Mein Anblickt erschreckt sie offensichtlich, denn alle schwingen sich sogleich geschwind aufs Rad. So, so, denke ich und genieße die offensichtliche Angst in ihren Augen. Da mir kein bisschen nach Wettkampf zumute ist und ich das sowieso nicht schaffen würde, versuche ich erst gar nicht, den Nachzügler zu erreichen. Da summe ich doch lieber „je veux“ vor mich hin (#240 Bagnere-de-Luchon) und schaue mir die Landschaft an.

Die Bergkuppen sind baumlos. Von gelb, braun, grau, blau erstrecken sich die Farben der Fauna bis silbrigviolett. Anders als in den letzten Tagen versuche ich die Tour trotz aller Anstrengung zu genießen. Fahre mein Tempo, halte immer mal wieder kurz an, um in Ruhe zu schauen oder um etwas zu trinken. Bei Kilometer sechs und drei vor dem Ziel quetsche ich mir jeweils ein Gel rein. So wirklich lecker finde ich das nicht, einen Hungerast will ich allerdings auch nicht riskieren.

Dann habe ich es geschafft. Die Jausenstation liegt vor mir und das Siegerfoto am Col ist im Kasten. Dort kehren wir ein und uns erwartet eine beispiellose Gastfreundlichkeit. Ein alter Herr (Monsieur Claude?) kümmert sich rührend um alle ankommenden Gäste während seine Töchter (?) Crêpes und Omelette, Pommes und sonstige Leckereien für ihre Gäste auf den Tisch zaubern. Wie gut ein Lächeln, ein freundliches Wort, eine nette Geste nach einer vermaledeiten Anstrengung tut, ist unbeschreiblich.

Der zweite Streckenabschnitt ist easy. Es geht überwiegend bergab. Entlang eines Flusslaufs und pittoresken kleinen Ortschaften am Wegesrand. Wir sind früh dran, als wir im Zielort vorfahren. Im dorfeigenen Bartotolottokaffee kehren wir ein. Wir ordern ein kleines Bierchen gegen den Durst und überlegen, wie wir es mit dem Abendessen halten. Restaurants scheint es nicht zu geben.

Glücklicherweise gibt es neben dem Bartotolottokaffee einen Tante Emma Laden. Die Dorfältesten haben sich hier bereits versammelt und warten darauf, dass Madame den Laden nach der Mittagspause wieder eröffnet. Ein wunderbares Sammelsurium von Speisen und Getränken erwartet uns. Wir schlagen gut zu und sind mit knapp sechzehn Euro dabei.

Unsere Bed & Breakfast Unterkunft ist dann wieder leicht gewöhnungsbedürftig. Hier führt eine resolute Alte das Regiment und macht uns mit den „do and don’t“ des Hauses vertraut. Sowas kennen wir schon. Wir lassen die Einweisung stoisch über uns ergehen und vespern dafür ausgiebig auf dem Bett.

P.S. Heute gibt es zwei tote Vögel und eine tote Schlange zu beklagen (#238 Col de Port).

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