Der Schreibtag beginnt mit der simplen Herausforderung das Linieneinlageblatt zu finden, welches ich hinter die Blankoseite meiner Kladde lege, um einigermaßen in Reihe zu schreiben. Meine Handschrift ist unleserlich genug. Deshalb brauche ich diese kleine Krücke, damit ich sie später entziffern kann.
Krücke ist heute ein gutes Stichwort. Vergangene Nacht kam es zu einem Einsatz in der Verwandtschaft. Ein Sturz, ein gebrochener Knöchel, Krankenhaus. So schnell kann es gehen. Die Dinge passieren und passen nie. Unverhoffte Wendungen im Leben. Jede:r kennt das. Stets sind sie ähnlich plötzlich wie Weihnachten da, selbst wenn ich sie irgendwie erwartet habe.
Meine Tendenz, negativen Ereignissen mehr Bedeutung als positiven beizumessen, das muss ich konstatieren, hat Jahre überdauert. Es hat gedauert, bis ich endlich dahinter komme, dass genau das der falsche Weg ist.
Positive Begegnung passieren oft subtiler, im Verborgenen. Bewusst wahrgenommen können sie ein Schatz für Stabilität in brenzligen Situationen sein. Geben sie mir doch Halt und Auftrieb auf rauer See. Dabei ist es unerheblich, was es ist. Das Gefühl, das sie auslösen ist entscheidend. Ich denke zum Beispiel an meine Bekanntschaft mit der alten Dame im Freibad (#200 Meilenstein 4). Bestimmt dachte sie ähnlich, als sie mir aus ihrem Leben erzählt hat.
Folgende kleine Beobachtung fällt mir in diesem Sinne ein. Auf meinem Arbeitsweg begegne ich in regelmäßigen Abständen einem alten Mann. Er wird Rentner sein (ohne, dass ich es mit letzter Sicherheit weiß). Er kümmert sich um den Grünstreifen und Gehweg eines großen Geschäftshauses. In diesem arbeiten Menschen die, deren Kleidungsstil zufolge, wahrscheinlich einer wichtigen Aufgabe nachgehen. Er kehrt und fegt und räumt den Dreck weg, schneidet die Hecke. Seine Bewegungen sind langsam. Ich lächle ihm zu. Grüße freundlich, weil ich der Meinung bin, dass sich das gehört und weil ich Respekt habe und freue mich, als er zurücklächelt.