#310 Ziehharmonika

Ich schalte das Radio aus. Nachrichten habe ich heute zu genüge gehört und jetzt mag ich nicht mehr. Die Stille, die mich umfängt ist keine, denn ich hören meinen Motor, die Fahrgeräusche, den Verkehr um mich herum. Während ich so dahin schleiche überlege ich mir, aus welchen Löchern dieser Erde die Rohstoffe all der Gegenstände um mich herum wohl stammen. Sämtliches Metall und diverse andere Zutaten, die ich nicht wirklich kenne, die aber die Blechlawine, von der ich ein Teil bin, ausmachen. Komische Gedanken, was? Habt ihr euch das auch schon mal gefragt?

Vor mir fährt FF siebzehnhundert fünfundsiebzig. Das geht schon eine ganze Weile so, bis sich UL KY von rechts dazwischen drängelt. Nummernschilder lesen ist die einzige Abwechslung, die mir ohne Dudelei aus den Lautsprechern bleibt. Anfahren, Gas geben, schneller, langsamer, bremsen, anhalten, stehen. Anfahren, Gas geben, schneller, langsamer, bremsen, anhalten, stehen. Und so fort. Fast hört es sich nach der Schrittfolge eines Tanzes an. Leider ist es das nicht. Wie in einer endlosen Ziehharmonika bewege ich mich heimwärts.

Dabei lenke ich mich mit dem ab, was ich nachher, also jetzt, aufschreiben möchte. Ich beschreibe im Kopf, das was ich sehe und spiele mit Worten. Überlege, wie es mir geht. Alles in der Hoffnung, dass ich mich später dran erinnern kann. Es funktioniert nicht immer. Meine Gedanken laut aussprechen und aufnehmen, so habe ich festgestellt, ist für mich keine Alternative. Da versuche ich lieber, mir so viel wie möglich zu merken. Während ich darüber nachdenke, kehrt bei mir Ruhe ein. Mein Geist ist sinnvoll beschäftigt. Ich benenne die Situation, gebe den Dingen einen Namen. Damit sind sie für mich erledigt. Ich kümmere mich nicht mehr um das, was mich ärgert. Im Gegenteil. Die Freude daran, mich damit zu befassen, lässt jeden Tag, wirklich jeden, besonders sein.

 

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