#358 Weihnachten

Die Tür vom Wohnzimmer ist abgeschlossen. Wir Kinder dürfen zum Frühstück nur in die Küche. Es gibt keinen richtigen Tisch, sondern, ganz modern, einen Tresen in L-Form, der um einen Teil der Küchenzeile verläuft. Das große, quadratische Fenster geht zur Straße raus. Davor befindet sich eine breite Arbeitsfläche, die den Platz zwischen Spüle links und Herd rechts ausfüllt. Oft sitze ich dort oben drauf, schaue meiner Mutter zu, wie sie werkelt. Nasche am Teig oder probiere mehr als notwendig die Soße auf dem Herd. Uns geht es gut.

Meine Mutter ist damit beschäftigt, unseren Klassiker für den nächsten Tag vorzubereiten. Gänsebraten mit Rotkohl und Klößen. Am Heiligen Abend gibt es wechselnde Gerichte. Je nachdem, was ihr einfällt. Das ist aber auch egal, denn es ist immer lecker.

Ich verbringe den Tag mit dies und das. Kleinigkeiten, die noch erledigt werden müssen oder die ich aufgetragen bekomme. Später am Nachmittag gibt es unseren ersten Klassiker des Weihnachtsrituals, den Kirchgang.

Wir sitzen auf den schlichten Bänken, der schlichten Kirche mit einem schlicht geschmückten Tannenbaum. Es ist voll. Wie sollte es anders sein? Die gesamte Nachbarschaft ist versammelt. In meiner Erinnerung kommt das Festliche etwas kurz. Dafür nehmen wir genügend Gesprächsstoff mit, denn etwas verläuft garantiert kurios.

Dann kommt der große Moment. Das Glöckchen klingelt, die Wunderkerzen (!) brennen am Baum, meine Mutter spielt Klavier. Wir dürfen eintreten. Beim Weihnachtsliedersingen schielt mein Blick zu den bunten Päckchen. Die roten Pappteller dazwischen sind üppig mit Gebäck, Mandarinen, Nüssen und Schokokugeln gefüllt. Welcher Haufen ist für mich? Die Spekulationen beginnen.

Gleichzeitig greifen wir nach unseren Geschenken. Ist das eine Freude. Meistens jedenfalls. Die Gemütlichkeit steigert sich zum Höhepunkt. Schließlich entzündet mein Vater das Kaminfeuer und wir fallen über sämtliche Süßigkeiten her. Irgendwann, später, setze ich mich ans Klavier und spiele „Alle Jahre wieder“.

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