Es ist Nachmittag. Nach einem halben Tag am Schreibtisch, habe ich Lust vor die Tür zu gehen. Frische Luft schnappen, Füße vertreten. Sowas. Mein Ziel ist der Supermarkt. Ich brauche nicht viel, aber ein wenig geht immer. Also rein in Jacke und Schuhe, Rucksack auf den Rücken. Schauen, was mich inspiriert und auf was ich Appetit haben könnte. Wie stets, habe ich außerdem meine Geschichte im Kopf. Die will noch stattfinden, die will noch gefunden werden.
Der Zufall will es, dass ich heute einen Weg einschlage, den ich lange nicht mehr gelaufen bin (#366 Neujahr). Das Graffiti an dieser Seite des Schulgebäudes macht mich neugierig. Ist es neu? Ich glaube, ich kenne es nicht (#72 lächeln). Ich wechsle schnell die Straßenseite, um es näher betrachten zu können. Dabei fällt mein Blick in den kleinen Grünstreifen, der Fahrbahn und Fußweg voneinander trennt.
Hoppla, was ist das? Unerwartet steht dort ein buntes Schild. Auffällig leuchtend, behauptet es sich zwischen den braunen Blättern des vergangenen Sommers und markiert den kahlen Zweig eines jungen Schösslings. Es ist laminiert, um vor Regen geschützt zu sein. Unter seiner Folie, offensichtlich von Kinderhand beschrieben, steht dort der Satz zu lesen:
„Empfindlich. Bitte lasst mich wachsen!“
Ich bleibe stehen. Da ist sie, meine Geschichte. Wie so oft, finde ich sie auf der Straße. In meiner Nähe.
Wie schön ist diese doppeldeutige Aussage. Findet ihr nicht auch? Kinder und Schösslinge (ebenfalls doppeldeutig), beide brauchen Raum und Zeit, um zu wachsen, um sich zu entfalten. Ein großartiger Philosoph des achtzehnten Jahrhunderts hat einmal die Worte geprägt, dass in der Erziehung Zeit verloren gehen muss, damit Zeit gewonnen wird. Wie wahr.
Mit diesen Gedanken schlendere ich weiter, mache meine Besorgungen. Dabei ergibt sich gleich die nächste Zufälligkeit. Ihretwegen komme ich zu einer spontanen Verabredung auf eine Tasse Kaffee. Wunderbar.