#408 aus der Vogelperspektive

Lasst mich alle in Ruhe!, denkt er und krallt sich fester mit seinem lädierten Zeh am eiskalten Gitter fest. Steckt seinen Kopf unter den Flügel. Die eine Kralle schmerzt ihn schon seit Tagen. Neulich war er unaufmerksam. Da hat das Dilemma begonnen.

Unter die Räder eines Einkaufswagens ist er geraten. Von seinem Appetit geleitet, hatte er auf nichts geachtet. Außer den appetitlichen Happen aus der Dönerbox gierig anzuvisieren. Der war ihm genau vor seinen Schnabel gefallen. Fast hätte der Wagen ihn vollständig überrollt. Doch seine Reflexe sind noch gut. Deshalb hat nur sein Fuß etwas abbekommen. Kleines Malheur eben.

Davon kann er ein Lied zwitschern, sofern das in seiner Kompetenz liegen täte. Tut es aber nicht und daher lässt er es bleiben. Dafür pickt er lieber auf allem herum. Er ist nicht wählerisch. Und wie heißt es gleich? Auch eine blinde Taube findet mal einen Brotkrumen.

Die Menschen beachten ihn nicht oder scheuchen ihn fort. Flügelflatternd nimmt er lässig Reißaus. Inzwischen kann er unterscheiden, bei wem wirklich Ärger droht. Da gehört nicht viel dazu. Sie sind leicht zu durchschauen.

Gleich am Eingang des Einkaufzentrums gibt es eine Bäckerei. Sei persönliches El Dorado. Bei der morgendlichen Anlieferung stehen sie dort, die roten Körbe reich Bestückt mit Backwerk. Der Tisch ist gedeckt. Leider kennen die anderen diese Futterquelle wie er. Das Gerangel ist groß. Er hat gelernt, cool zu sein. Es fällt genügend für alle ab.

Gut gesättigt oder überdrüssig der Flatterei hat er es sich zu Eigen gemacht, zwischendurch Powernaps im Rollgitterrollokasten zu machen. Manchmal bewegt sich das Tor. Dann zieht er den Kopf ein, lässt sich nicht stören. Erfahrungsgemäß passiert nichts weiter. Bisher war nur er so schlau. Seine Kameraden kennen das Plätzchen nicht. Praktisch, denkt er sich, dass ich nicht ebenso doof bin wie die.

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