#493 Summit

Der Wecker klingelt uns früh aus den Federn, denn wir haben etwas vor. Heute geht es für uns ein weiteres Mal und für mich hoffentlich ein erstes Mal ganz rauf auf den Summit vom Mont Ventoux. Per Rennrad. Das Wetter ist zwar lala aber wenigstens ist kein Gewitter vorher gesagt (#488 Feuerwehrmann Sam). Damit es auch für mich zum Erfolgserlebnis werden kann, haben wir uns eine ausgeklügelte Taktik überlegt. Wir starten gemeinsam in dem kleinen Dorf Sault. Ich nehme den Weg direkt von hier aus zum Gipfel. Das ist zwar der längste Aufstieg, jedoch der, mit der moderatesten Steigung. Die andere Hälfte meines Haushalts fährt ein Stück um den Berg herum und startet von Bedoin aus. Von dort folgt er der klassischen Route der Tour de France.

Ich bin guter Dinge. Es rollt. Ich fühle mich wohl und komme voran. Es geht an Lavendelbauernhöfen und Schafherden vorbei. Die Sonne scheint, der Wind bläst kaum. Schnell liegen die ersten zehn Kilometer hinter mir. Die nächsten zehn folgen. Mein Weg führt mich durch bewaldetes Gebiet, bevor es karg wird.

Karg ist es wirklich. Nur Geröll links und rechts neben mir. Vom Tal ziehen vereinzelte Wolkenfetzen immer schneller rauf. Es wird zunehmend frisch. Ich muss mal, verkneife es mir in der Hoffnung, dass es auf dem Berg eine Restauration gibt. Dann wird es noch undurchsichtiger. Für einen kurzen Moment nur habe ich den Turm auf dem Berg sehen können. Danach verschwindet alles komplett im Wolkengrau. Lange anhalten ist nicht mehr, was meinem Pinkelbedürfnis nicht gerade entgegen kommt. Das dauert zu lange und kühlt mich zu sehr aus. Jetzt wäre ich gerne ein Mann.

Da mich lamentieren auch nicht weiter bringt, trete ich in die Pedale. Meine Finger sind trotz der Anstrengung kalt. Meine Füße ebenfalls. Kurz überlege ich, ob ich jetzt schon meine Regenjacke überziehe. Verwerfe den Gedanken und konzentriere mich aufs treten. Rhythmus. Im Tritt bleiben. Dann endlich bin ich oben, was ich nur daran erkenne, dass viele Radler juchzend vor einem völlig mit Stickern verklebten Schild Fotos machen.

Ich habe es geschafft. Wir telefonieren kurz. Die andere Hälfte meines Haushalts hat es auch gleich oben. Ich nutze den Vorsprung und wärme mich im Souvenirladen auf. Mein Pipiproblem bin ich damit leider nicht los, dafür kaufe ich mir ein Paar lange Funktionshandschuhe. Meine habe ich Vollpfosten nämlich im Auto vergessen. Ansonsten ziehe ich alles über, was ich dabei habe. Mir ist weiterhin kalt.

Dann sind wir wieder vereint. Es ist so lausig frisch, dass wir uns nicht lange aufhalten. Zu sehen gibt es schließlich auch nichts. Also treten wir die Abfahrt an. Das ist oftmals der herausforderndere Part bei der ganzen Angelegenheit, wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt. Steil, kalt, feuchte Straße durch den Nebel, kaum Sicht, Autos, Motorradfahrer, andere Radler. Juhu. Aber alles geht gut. Zum Glück. Ich schicke ein Dankgebet ans Universum, kuschle mich in die warme Sitzheizung vom Auto. Was für eine geniale Erfindung…

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