#549 inside out

Auf was fällt euer Blick bei diesem Bild zuerst? Auf den See? Die Malutensilien? Das Bücherregal? Die Tube mit gelber Farbe? Oder seid ihr eher verwirrt? Das ist mit Sicherheit völlig unterschiedlich. Wie beim Scharfstellen einer Spiegelreflexkamera mit großem Objektiv, ist es hier möglich, unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen, sich auf unterschiedliche Inhalte zu fokussieren. Unser Gehirn ist gezwungen, unterschiedliche Ebenen zu erkennen, Zusammenhänge und Dissonanzen herzustellen.

Ich habe unlängst an einem Versuch partizipiert, der sich mit einem ähnlichen Thema beschäftigte. Uns Kursteilnehmenden wurde ohne konkrete Anweisung ein Foto zur Beschreibung vorgelegt. Hierfür bekamen wir gut eine viertel Stunde Zeit. Alles easy – ist doch klar.

Auf dem Foto war eine stinknormale Straßencafészene abgebildet, in dem Leute saßen.
Als die Zeit um war, sollten wir der Reihe nach unsere Beschreibungen vorlesen. Es war erstaunlich, wir hatten alle komplett andere vor uns liegen und doch handelte es sich um ein und dasselbe Bild, vom Beamer vor uns an die Wand geworfen. Es war einer jener aha-Momente im Leben, an den ich mich gut erinnere. Mir ist vorher gar nicht der Gedanke gekommen, dass es verschiedene Möglichkeiten der Beschreibung geben könnte.

Das war der Tag, an dem ich bewusst meine Insel verlassen habe. Mich bewusst damit auseinander gesetzt habe, was es bedeutet, unterschiedliche Perspektiven zu haben. Das war an einem der ersten Tage meiner professionellen Coachingausbildung.

Unzählige Erkenntnisse später, war diese Erfahrung jedoch für mich eines der Highlights. Was mir besonders gut daran gefällt ist die Tatsache, dass es nicht nur unterschiedliche Perspektiven an sich gibt, sondern, dass alle gleichermaßen recht haben. Alle sind wahr, gleichrangig. Es gibt kein richtig oder falsch. Schließlich ließen sich die unterschiedlichen Beschreibungen zweifelsfrei überprüft.

Seitdem ist der Versuch Bestandteil meines Repertoires, wenn ich Gruppen coache. Er übt jedes Mal dieselbe Faszination aus, wie bei mir.

Teilen:

Weitere Beiträge

#643 aufs Maul geschaut

Cafés und andere gesellige Orte, wie Kneipen, Restaurants, öffentliche Verkehrsmittel, sind geeignet, fernab sozialer Medien, „dem Volk aufs Maul zu

Weiterlesen