Ich öffne mein Fenster, das zum Hof führt. Mein Büro liegt in der ersten Etage. Ein Stockwerk tiefer hat der Kindergarten in eben diesem Hof sein Außengelände. Vor dem Morgenkreis spielen einige Übermütige mit einem Ball, laufen herum, schubsen sich gegenseitig. Machen all die Dinge, die kleine Jungen oder Mädchen tun, wenn sie spielen und toben, wenn sie Kinder sein dürfen.
Der Ball kracht genial getreten gegen die Fassade des Gebäudes und ich überlege kurz, dass ich mich wahrscheinlich ordentlich erschrecken würde, prallte er gegen mein Fenster, was jedoch noch nie vorgekommen ist. Allerdings würde ich nichts anderes als einen platzierten Schuss von dem kleinen Kicker im Outfit der Nationalmannschaft, die Nummer 10 vor der Brust, den Namen seines Helden auf dem Rücken, erwarten. Ein anderes Kind weint bitterlich, weicht der Gruppenleitung nicht von der Seite, ein paar andere streiten sich um das Tandemdreirad und wieder welche spielen versonnen im Sandkasten, zufrieden mit sich und der Welt. Mich stört der Lärm, den sie dabei veranstalten, nicht. Ich höre es meistens gar nicht und falls es vorkommt, dann mache ich das Fenster zu. Ganz einfach.
Was sich bei der Geräuschkulisse im Hintergrund viel mehr durch mein Unterbewusstsein nach vorne schiebt, sind die Anweisungen der Erwachsenen. Ein Name sticht immer wieder heraus: Michel (Name geändert, Anm. der Redaktion). Michel hier und Michel da. Ein gedehntes: „M i c h e l- lass das“ übertönt jeglichen Kinderlärm. Michel scheint überall mitzumischen und die Erzieher:innen ordentlich auf Trab zu halten. Manchmal wird sein Name ohne konkrete Anweisung mahnend gerufen. Das scheint auf wenig fruchtbaren Boden zu fallen, so häufig wie ich ihn höre. Beurteilen mag ich das nicht. Logisch. Deshalb weiß ich nicht genau, wem mein Mitleid gelten soll. Wie so oft, wird die Wahrheit in der Mitte liegen.