#643 aufs Maul geschaut

Cafés und andere gesellige Orte, wie Kneipen, Restaurants, öffentliche Verkehrsmittel, sind geeignet, fernab sozialer Medien, „dem Volk aufs Maul zu schauen“, um frei nach Luther zu zitieren. Feldstudien der Gesellschaft zu betreiben. Neulich passiert. In einem Café.

Ich bin alleine, bis auf den Cappuccino, somit ohne Ablenkung und werde Ohrenzeugin des Gesprächs am Nachbartisch. Vorneweg: ich war zuerst da und habe nicht darum gebeten, zuzuhören.

Ein Gespräch entspannt sich zwischen einer Frau und einem Mann. Vielleicht Vater und Tochter. Sie ist Lehrerin, berichtet über den Alltag des Lehrerberufs. Im Moment sei sie abgeordnet von ihrer Stammschule, bei der sie bis vor Kurzem noch in der Außenstelle tätig war. Dort, in der Außenstelle, war sie, unbeobachtet von der Rektorin, mit ihren Kolleg:innen sich selbst überlassen. Während des Unterrichts kopieren gehen und im Lehrerzimmer noch zwei Kekse essen, kein Problem. Das geht jetzt nicht mehr.

Ist es unerhört zuzuhören, frage ich mich. Nein, private Gespräche gehören in den privaten Raum. Besonders dann, wenn die Tische auf Armlänge entfernt stehen. Meine Ohren verschließen ist genauso wenig, wie Luft anhalten, über einen längeren Zeitraum möglich.

Außerdem ist der Lehrberuf der einzige, zu dem alle eine Meinung aus eigener Erfahrung beisteuern können. Manchmal nicht nur als Schüler:in, sondern ein weiteres Mal als Elternteil.

Unattraktiv sei er, berichtet sie, nennt Beispiele. Schlecht bezahlt für viel Arbeit. Wünsche würden nicht berücksichtigt werden. Die Kinder seien anstrengend und so fort. Würde das Beamtentum abgeschafft, würde niemand mehr Lehrer:in werden.

Oder vielleicht doch? Ich kenne Ansichten von jungen Lehrer:innen, die Lust haben zu unterrichten. Also wieder die berühmten zwei Seiten einer Medaille?

Dabei fällt mir auf: es ist die Einstellung, die die Musik macht. Ich entscheide jeden Morgen für mich, ob ich Bock habe oder nicht. Dabei ist es völlig gleichgültig, welchen Beruf ich ausübe.

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